[Text: Stefanie Krüger]
Naturidyll und Zeitgeschichte unter die Pedale genommen
Am Samstag, dem 24. Mai 2025, traf sich eine Gruppe geschichtsinteressierter Menschen und radelte unter der fachkundigen Leitung von Herbert Diercks – Historiker und langjähriger Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme – bei strahlendem Sonnenschein über den Ohlsdorfer Friedhof zu Grabstätten von Opfern und Tätern des Nationalsozialismus.

Austausch mit Herbert Diercks vor dem Mahnmal auf dem Friedhof Ohlsdorf während der Fahrradtour am 24. Mai 2025. Foto: Stefanie Krüger
Als neues Mitglied im Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme entdecke ich immer wieder, wie viele Spuren der Stadtgeschichte noch sichtbar – und doch oft übersehen – sind. Umso eindrucksvoller war es, an dieser Tour mit Herbert Diercks teilzunehmen, der sein enormes Wissen engagiert und anschaulich vermittelte.
Spurensuche auf dem Ohlsdorfer Friedhof
Die Tour lenkte den Blick auf Grabstätten von bekannten und weniger bekannten Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus in Hamburg lebten, arbeiteten, sich politisch engagierten oder – etwa als Jüdinnen und Juden, Sozialdemokrat:innen, Kommunist:innen, Sinti und Roma – verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden. Auch die Gräber von NS-Tätern wurden besucht und ihr Handeln historisch eingeordnet. Dabei wurde für mich deutlich, wie unterschiedlich auf dem Friedhof mit der Vergangenheit und ihren Akteuren umgegangen wird.

Gedenkstein für Irene Wosikowski mit Winkel auf dem Ohlsdorfer Friedhof, fotografiert am 24. Mai 2025. Foto: Stefanie Krüger
Zwischen Erinnerung und Verdrängung
So ist das Grab des Schriftstellers und Regimekritikers Wolfgang Borchert („Draußen vor der Tür“) nur auffindbar, wenn man gezielt danach sucht. Eine Hinweistafel zu seinem Grab fehlt. Im Kontrast dazu weist ein gut sichtbares Schild an einem der Hauptwege zum Grab von Hans Albers. Der bekannte Schauspieler konnte seine Karriere im nationalsozialistischen Deutschland fortsetzen – seine Haltung zum Regime war mindestens angepasst.
Die andere Seite der Erinnerung: Tätergräber
Besonders eindrücklich war die abgelegene und kaum besuchte Ecke des Friedhofs, in der mehrere NS-Funktionäre begraben liegen – unter ihnen Karl Kaufmann . Er war von 1929 bis 1945 NSDAP-Gauleiter in Hamburg, ab 1933 auch Reichsstatthalter und ab 1939 Reichsverteidigungskommissar. Kaufmann setzte sich aktiv für die Errichtung des KZ Fuhlsbüttel und später des KZ Neuengamme. Er trieb die Deportation jüdischer Hamburger:innen in die Vernichtungslager voran. Nach dem Krieg wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Er starb 1969 – wohlhabend und unbehelligt.

Grabstein der Familie Speth-Kaufmann mit Grabinschrift für Karl Kaufmann, aufgenommen am 24. Mai 2025. Foto: Stefanie Krüger
Ermordet an einem Tag: Spurensuche im Gräberfeld
In starkem Kontrast dazu steht das Kriegsgräberfeld, das wir im weiteren Verlauf der Tour erreichten. Dicht an dicht stehen dort die Grabsteine. Uns fiel auf, dass viele Verstorbene an demselben Tag ums Leben kamen – ihre Namen deuten auf osteuropäische Herkunft und jüdische Identität hin. Herbert Diercks erklärte, dass es sich um sowjetische jüdische Zwangsarbeiter:innen handelte, die im KZ Neuengamme inhaftiert waren und dort an einem einzigen Tag ermordet wurden. Erst spätere Forschungen machten ihre Geschichte sichtbar – ohne diese Aufarbeitung blieben ihre Grabsteine anonym.
Erinnerung in Bewegung: Umbenennung und Engagement
Die Tour verband historische Einblicke mit der Frage, wie wir heute mit der Vergangenheit umgehen. Ein Beispiel dafür ist die Umbenennung der früheren „Kriegsherrenallee“ in „Ida-Ehre-Allee“ – Ergebnis intensiver Diskussionen einer Expert:innengruppe. Auch die kürzlich verstorbene Peggy Parnass, Überlebende der Shoah und zeitlebens engagierte Antifaschistin, war Teil dieses Runden Tisches.
Ein weiterer Halt war der Ehrenhain für den Hamburger Widerstand. Auch hier erfuhren wir mehr über Menschen, die sich dem NS-Regime mutig widersetzt haben – oft unter Lebensgefahr.
Abschluss in Fuhlsbüttel: Ausstellung mit Haltung
In der KZ-Gedenkstätte Fuhlsbüttel endete unsere Fahrradtour. Dort erhielten wir eine eindrucksvolle Führung durch die von Herbert Diercks kuratierte Ausstellung. Sie erzählt die Geschichten der Inhaftierten, dokumentiert die Biografien der Täter und beleuchtet die Geschichte des KZ Fuhlsbüttel. Besonders empfehlenswert: sonntags ist die Ausstellung öffentlich zugänglich und bietet die Möglichkeit, sich intensiv mit den dort dargestellten Lebensläufen auseinanderzusetzen – sowohl von Ermordeten als auch von Überlebenden.
Ein Nachmittag, der bleibt
Ein Nachmittag voller Eindrücke, Geschichte und Geschichten – verbunden mit einer Fahrradtour durch einen der schönsten Parkfriedhöfe Europas. Besonders bewegt hat mich das Zitat auf dem Gedenkstein im Ehrenhain:
„MENSCHEN WIR HATTEN EUCH LIEB
SEID WACHSAM.“

Gedenkmauer auf dem Ohlsdorfer Friedhof mit der Inschrift „Menschen wir hatten euch lieb / seid wachsam“, fotografiert am 24. Mai 2025. Foto: Stefanie Krüger
Die regelmäßige angebotene Fahrradtour über den Friedhof Ohlsdorf und zur Gedenkstätte Fuhlsbüttel mit Herbert Diercks: uneingeschränkt empfehlenswert!
Die nächsten Termine sind auf der Veranstaltungsseite der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zu finden.