„Ich kehrte nach Hause als Invalide zurück“

[Hedwig Gafga & Sylvie Landwehr mit einer Einleitung von Barbara Hartje]

Lesung aus dem Zeitzeugenbericht des überlebenden Neuengammer Häftlings Pawel Pawlenko. Ein Beitrag des Freundeskreises beim „Zelt der vielfältigen Erinnerung“ im Rahmen der Neuengammer Mai-Gedenktage 2025.

In diesem Jahr gab es in Hamburg zum 80. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung ein umfangreiches, vielfältiges Angebot an Veranstaltungen mit vielen Besucherinnen und Besuchern. Die sehr bewegende zentrale Feier der KZ-Gedenkstätte Neuengamme fand am 3. Mai mit Überlebenden und Angehörigen aus aller Welt statt – diesmal unter aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen, denn Olaf Scholz, gerade noch Kanzler, war als Redner dabei.

Am folgenden Tag konnte man dann unter vielen unterschiedlichen Veranstaltungen auf dem Gedenkstättengelände auswählen. Einige Beispiele: Das Ensemble um das Internationale Mahnmal von 1965 wurde ergänzt durch eine neue kreisförmige Gedenkplatte und feierlich eingeweiht. Sie nennt nun aktuell alle heute bestehenden Länder, aus denen die Häftlinge kamen. In eigenen kleinen Feiern wurde erinnert an bisher weniger beachtete Häftlingsgruppen wie die 42 inhaftierten elsässischen Offiziere und die Homosexuellen. Fast vierzig Angehörige präsentierten bei einer Feier im Klinkerwerk neue oder auch ältere Druckplatten für den Ort der Verbundenheit, anschließend wurde gemeinsam vor dem Plattenhaus, in dem der Ort der Verbundenheit mit seiner Druckwerkstatt ja beheimatet ist, plakatiert.

Zum ersten Mal fand in diesem Jahr das „Zelt der vielfältigen Erinnerung“ statt. Hier waren lokale interessierte Vereine, Schulen und Initiativen eingeladen, den 80. Jahrestag aktiv mitzugestalten. In Gesprächen und Vorträgen, musikalischen oder künstlerischen Darbietungen, Projektvorstellungen u.a.m. setzten sich einzelne oder Gruppen mit dem Geschehen rund um die nationalsozialistische Verfolgung und das KZ Neuengamme auseinander.

Der Freundeskreis war mit drei Beiträgen beteiligt: Barbara Brix und Bernhard Esser berichteten als Angehörige eines SS-Täters und eines Neuengammer Häftlings über ihre NS-Familiengeschichte. Unser Vorstandsmitglied Heidburg Behling übergab der Gedenkstätte ein Bild der Überlebenden Àgnes Lukács (https://fk-neuengamme.de/ein-bild-von-agnes-lukacs/) und unsere beiden Mitglieder Hedwig Gafga und Sylvie Landwehr erinnerten mit einer Lesung an den überlebenden Neuengammer Häftling Pawel Pawlenko aus der Ukraine.

Foto: Susann Lewerenz

Hedwig Gafga berichtet:

Bei einem Gespräch am Rand der Rathausausstellung erzählte ich Silvie Landwehr von Zeitzeugeninterviews, die 1992 in der Ukraine stattgefunden hatten. Vor mehr als drei Jahrzehnten hatten Wilfried Müller und ich frühere KZ-Häftlinge in Orten wie Schostka oder Charkow in der Ukraine besucht. Silvie entschloss sich, den Zeitzeugenberichten nachzugehen.

Anhand von drei Namen ehemaliger KZ-Häftlinge stürzte sie sich in die Archivarbeit. Sie schreibt: Für mich selbst ist – auch angesichts des Krieges in der Ukraine – der Zugang zu den leidvollen Erlebnissen dieser Häftlingsgruppe mit Hilfe der hier sorgfältig archivierten Korrespondenz eine neue eindrückliche Erfahrung, und ich möchte einen Eindruck davon geben anhand des Zeitzeugenberichts von Pawel Pawlenko (geboren 1925 in Kiew).

Als Jugendlicher wurde er während des Wehrmachtüberfalls in Kiew brutal festgenommen und nach Hamburg zur Zwangsarbeit im Hafen deportiert. Nach 6 Monaten unter dem Vorwurf der Sabotage im Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel gefoltert, mit gebrochenen Händen und Schlüsselbein nach Neuengamme „überstellt“. Häftlingsnummer 11720. In einer Gruppe von sowjetischen Häftlingen u.a. zum sog. „Loren-Kommando“ eingeteilt. Später in Außenlagern zum Minen- und Leichenräumkommando beordert. 1944 ins KZ Sachsenhausen, 1945 ins KZ Buchenwald deportiert. Im August 45 in Bayern von der amerikanischen Armee befreit. Er kehrt als Invalide in seine Heimat zurück.

Im Erinnerungszelt war Pawel Pawlenko auch in seinen eigenen Worten zu hören. Er berichtet von Wendepunkten:

„Als wir Fässer mit Fischfett entdeckten, da kam es ganz spontan, dass wir uns entschlossen, die Fässer zu zerschlagen, damit sie nicht an die Front gelangten …“ Zirka zwei Wochen nach Abfahrt der Schiffe fallen die Schäden auf. Gestapo-Leute misshandeln die Zwangsarbeiter. „Sie haben mich also aufgehängt. Sie verhörten mich: wer habe befohlen, diese Sabotage zu machen? Nun, was konnte ich sagen, wenn es keine Absprache gegeben hatte? Wir hatten es bloß spontan gemacht, um der deutschen Armee zu schaden.“ Von der Folter und der Arbeit im sogenannten „Loren-Kommando“ gezeichnet, wird Pawel im KZ von dem deutschen politischen Häftling Karl Witt angesprochen. „,Weswegen hat man dich hier inhaftiert? Warum geht ihr in Lumpen?‘ Ich sage ihnen, dass Hitler uns nicht in Anzügen kleiden will, er möchte uns als solche Wilden zeigen. Da lachen sie. Karl gibt mir einen Laib Brot, Margarine, kurz, ich kam zurück zum Leben.“

Silvie fasste zusammen, dass Solidarität und Humanität in den Erinnerungen der wenigen Überlebenden eine große Rolle spielten. Ob und wann jemand ihnen ein Brot zusteckte oder ihnen zu einem anderen Arbeitseinsatz verhalf. Oder – wie im Beispiel von Saul Kroner, dem ein Mithäftling das Leben rettete, indem er das Wort „Jud“ aus der Lagerkartei löschte, so dass nur noch „Rus.Kgf. darauf vermerkt war.

Erst zehn Jahre nach Antragstellung bekommt Pawel 65 Prozent der maximalen Entschädigungssumme von 10 000 DM, die Restzahlung erfolgt nicht mehr. Wenige Jahre zuvor hatte er geschrieben: „Die Inhaber von jenen Werken und Fabriken, die mit unseren Händen aufgebaut wurden und nun ihren Enkeln viel Gewinn einbringen, sind schon verstorben. Aber wir, wir warten immer noch. Allerdings sind viele schon nicht mehr da, sie haben die Wiedergutmachung nicht erlebt, sie sind gestorben.

Pawel Pawlenko stirbt im Juni 2002 im Alter von 77 Jahren.

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